Die Orgel als Klangfarbenpalette

Angela Metzger eröffnet bei ihrem Konzert in der Stadtkirche einen weiten Hörraum. Die Organistin reist spielerisch durch ganz verschiedene Stile und Gattungen französischer und deutscher Werke und zaubert so ein Mosaik aus Kompositionen vom Barock bis zur Gegenwart.

MURRHARDT. Ein Programm von außergewöhnlicher Bandbreite präsentiert die Konzertorganistin Angela Metzger aus München, die in vielen Ländern auftritt, beim jüngsten Orgelzykluskonzert. Abwechselnd interpretiert sie analytisch und nuancenreich alte und moderne Kompositionen vom 17. bis zum 21. Jahrhundert auf der Mühleisenorgel der Murrhardter Stadtkirche. Dabei nimmt sie die vielen Zuhörerinnen und Zuhörer auf eine spannende Reise quer durch die Stile, Gattungen und Charakteristika der französischen und deutschen Orgelmusik mit.

Unter dem Motto Moving Colours, Farbbewegungen oder sich bewegende Farben, nutzt sie virtuos die Vielfalt der Register, Klangfarben und Effekte des Instruments. Auch dank des intensiven Studiums der Kompositionen und deren Einzelheiten gelingt es ihr, ein überaus farbenprächtiges Mosaik der Melodien, Harmonien, Dissonanzen und Rhythmen zu kreieren. Im Zentrum steht die Komposition, die das Motto inspirierte: Moving Colours von dem in Deutschland lebenden Ungarn Zsigmond Szathmáry. Er schrieb das moderne Tonkunstwerk 2008 für einen Orgelwettbewerb in Schramberg.

Das Konzept dieser Komposition ist sehr durchdacht, betont Angela Metzger. Unterschiedliche Formen und Elemente, Strukturen und Registrierungen wechseln sich ab. Eine wichtige Rolle spielt das Register der Klarinette mit durchschlagender Zunge und Windschwellereffekt zur differenzierten Gestaltung der Lautstärke. Das Werk ist zwar kein Ohrenschmaus, aber eine spektakuläre, dramatische Klangmalerei aus abstrakt wirkenden melodischen und harmonischen Fragmenten mit scharfen Dissonanzen. Toncluster, von Girlanden aus Tonwiederholungen durchzogen, Läufe und Figuren sind kontrastreich gruppiert, akzentuiert durch kurze, an Hupen erinnernde Einwürfe.

Ein wahrlich prächtiges Hörerlebnis ist Le Vive le Roy des Parisiens des barocken französischen Tonschöpfers André Raison. Er schrieb das hymnische Werk 1687 zu Ehren des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Als dieser nach der Genesung von einer Krankheit ins Pariser Rathaus gekommen war, feierten Hofstaat und Einwohner ein pompöses Fest. Laut Angela Metzger diente im damaligen Frankreich die Orgel nur für geistliche Musik. Aber: Raison integrierte raffiniert versteckt einige Gassenhauer in dieses Offertorium, ein Werk für die Gabenbereitung vor der Kommunion in der katholischen Messe. So entstand eine vergnügliche Mischung aus feierlichen barocken Klängen und augenzwinkernden Melodien, die mit graziösen Figuren umrankt sind.

Orchestrale Registerfülle, atmosphärische Nuancen, innovative Formen und Effekte sowie an unterschiedliche Tänze erinnernde Rhythmen prägen die technisch kniffligen Etüdenvariationen über ein Wiegenlied Opus 48 der zeitgenössischen französischen Komponistin Rolande Falcinelli. Innovativ im Rahmen der Barockmusik registriert und ausgearbeitet wirken jedoch auch die Variationen in der Choralpartita über das Abendlied Christ, der du bist der helle Tag von Johann Sebastian Bach, ebenfalls mit tänzerischen Rhythmen, sodass das Werk an eine Suite erinnert.

Den Rahmen von Angela Metzgers stilistisch und klangfarblich außergewöhnlich abwechslungsreichem Programm bilden je zwei Kompositionskombinationen aus Präludium und Fuge. Am Anfang steht Felix Mendelssohns romantisches Werk Nr. 1 in e-Moll aus Opus 35. Kunstreich gestaltete Akkordbrechungen bestimmen das ernste, dunkle Präludium, das schwierige Lebenssituationen zu illustrieren scheint. Die Fuge strahlt hingegen die tröstende, stärkende Kraft des Glaubens aus. Die feierliche Harmonik und eine von Mendelssohn eigens kreierte Choralmelodie steigern sich zu einer strahlenden Schlusskadenz, die danach wieder abebbt, leise und sanft verklingt. Den Abschluss bildet das jubilierende, tänzerisch beschwingte Opus 7 Nr. 1 in H-Dur von Marcel Dupré mit wellenartigen Klangstrukturen und ornamentalen Figurationen.

Das Publikum dankt Angela Metzger mit enthusiastischem Beifall für ihr grandioses Konzert. So setzt sie noch eine Zugabe drauf: das bekannte zärtliche Wiegenlied von Louis Vierne mit  schwebenden Klängen, die wie warme Lichtnuancen wirken.

Elisabeth Klaper

 

Mit freundlicher Genehmigung der Murrhardter Zeitung.

Murrhardter Zeitung, 22.06.2022