Dominik Susteck: Raumgestalten

Angela Metzger, Orgel

Werden Streich- und Blasinstrumente mit erweiterten Spiel- und Klangpraktiken behandelt, so resultieren verfremdete Geräusch- und Mehrklänge. Unternimmt man Ähnliches mit der Orgel, so wirken die Resultate oft noch fremder, weil die humane Hervorbringung von Klang mittels Atem und Körperbewegungen fehlt. Das mechanische Wunderwerk aus Tasten, Pedalen, Hebeln, Zügen, Gelenken, Laden, Trakturen und Pfeifen erscheint dann wie ein lebloser Apparat oder eine aus vielen Köpfen monsterhaft fauchende Hydra, zumal bei schnellen Wechseln von Register, Farben, Lagen, Dichten, Lautstärken und manipuliertem Winddruck. Im Fall der Spezialorgel für neue Musik der Kunst-Station Sankt Peter in Köln handelt es sich nicht mehr nur um ein Blasinstrument, sondern um eine Multimusikmaschine, die auch über zahlreiche Zupf- und Perkussionsregister verfügt, beispielsweise über Glocken, Psalterium, Xylophon, Beckenstern, Jauler, Sirene, Holz- und Metallzymbeln.

Domink Susteck ist hauptamtlicher Organist auf diesem von Peter Bares konzipierten Instrument, mit dem er regelmäßig improvisiert, die Liturgie der katholischen  Kirchengemeinde begleitet seit 2007 das Festival «Orgel-Mixturen» veranstaltet. In seinem 2018 entstandenen einstündigen Orgelzyklus Raumgestalten verbindet er einmal mehr Komponieren und Improvisieren. Die teils tonal oder rhythmisch indeterminierte, teils grafisch notierte Partitur gestattet eben jene interpretatorischen Freiheiten, die unerlässlich sind, um die klanglichen Möglichkeiten einer jeden Orgel voll ausschöpfen zu können. Mit dem besonderen Kölner Instrument bestens vertraut ist Angela Metzger durch zahlreiche Gastspiele. Die bei Edgar Krapp und Bernhard Haas in München ausgebildete Organistin wurde vielfach mit Preisen ausgezeichnet und versteht es, die faszinierenden Registrierungen der Kölner Orgel brillant auszuspielen.

Der erste Satz «Schraffur» verleiht rhythmischen Repetitionen nach und nach melodische Kontur und akkordische Kraft. In «Mond» verbreiten sirrende Spitzentöne, sanft schwebende Terzen und filigrane Arabesken über dunklem Bassgrund den ruhigen Zauber einer silberhellen Vollmondnacht. In «Geometrische Figuren» rotieren kurze Tonfolgen wie bei einem Chaospendel mit ständig anderem Schwung. Der vierte Satz «Apokalypse» braust und tost durchweg fff. Nervös zuckende Dissonanzen und Cluster verursachen ein veritables Erdbeben. Gleißende Höhen und klirrendes Hämmern ergänzen das Panakustikum um Blutregen und Kometensturz. «Tropfen» verdichtet leichtes Perlen der Schlag- und Zupfregister zu geräuschvollem Prasseln. Das Finale «Endzeit» zersprengt alle Linearität und Kausalität zu isolierten Einzeltönen, Intervallen und Akkorden. Verbunden sind die Fragmente allenfalls noch durch atmosphärisch geladene Stille und ferne Erinnerungen an das, was man einst Musik nannte.

Rainer Nonnenmann

 

Neue Zeitschrift für Musik 5/2020 © Schott Music Mainz 2020

Mit freundlicher Genehmigung von Schott Music, www.musikderzeit.de