Beurer Lieder im Orient
Münchner Streicher- und Percussion-Orchester und Madrigalchor der Musikhochschule gastieren in Kairo und in der Oper von Oman.
“Grüß’ mir Ramses II.” rief noch die Freundin vor dem Flug nach Kairo. Er liegt dann da als unheimliche, schwarzgesichtige Mumie im kaltklimatisierten Allerheiligsten des Ägyptischen Museums. Welch ein Kontrast nach der Goldpracht des Tutanchamun-Grabes. Spannender noch war die strahlende Kolossalbüste von Amenhotep IV. Der trat in der 18. Dynastie der dreitausendjährigen altägyptischen Hochkultur als ein Modernisierer von Kult, Kunst und Kultur auf und öffnete sie für Neues. Das passte gut zur Idee dieser musikalischen Kulturreise, die das Münchner Streicher- und Percussion-Orchester mit dem Madrigalchor der Hochschule für Musik und Theater nach Kairo und Muscat unternahm.
Der deutsche Botschafter, der deren erstes Konzert in der Oper von Kairo eröffnete, intonierte es in seiner Begrüßung mit Goethes “West-östlichem Diwan”: “Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen”. Das war nicht nur die idealistische Gegenthese zum bösen aktuellen “Clash of Cultures”-Gedröhne, sondern auch das Programm der musikalischen Tournee: “Zwischen Orient und Okzident”.
Adel Shalaby, Begründer und Leiter des Ensembles, Ägypter in Bayern als Hochschulprofessor und Percussion-Profi aus Passion, setzt es mit seinen jungen Musikern aus Orient, Europa und Asien schon lange mit Leidenschaft um. Spannend war, wie das musikalisch funktionierte. Als Ahmet Mounib, der junge Konzertmeister, mit “Fatma” des ägyptischen Komponisten Omar Khairat sein Solo auf der Rababa begann, war es reinste arabische Musikwelt. Auf dem einsaitigen Instrument, Urahn der Violine, wird in untemperierter Stimmung gespielt; mit einem Taksim, der improvisatorischen Einleitung, führt es zum vollstimmigen Concerto von Streichern und Schlagzeug.
Auch Amira Reda, Solosopranistin an der Oper in Kairo, beschwor zwischen flackernder Leidenschaft und melancholischer Poesie die exotische Magie des Arabischen. Damit bestimmte die reizvolle Dialektik zwischen der untemperierten Stimmung des arabischen Musikidioms mit seinen für uns fremden Intervallen und der wohltemperierten des europäischen den ersten Teil des Konzerts. Doch die Spannweite des kulturellen Cross-over war viel größer: Ahmet Mounid war nicht nur Geiger im Kairoer Opernorchester, sondern studiert auch bei Ingolf Turban in München, an den Steinways saßen Boris Kneževi aus Kroatien und George Kolta aus Kairo, die beiden Chinesen Yuyuan Ji und Shutong Wang beherrschten mit Moritz Knapp aus Augsburg, Christina Lehaci, der Powerfrau aus Rumänien, und Toaa Ali aus Kairo die heiße Percussion-Liga; eine Palästinenserin bediente den Kontrabass, und unter den Streichern saßen Artem Lonhinov aus der Ukraine, Musiker aus dem Cairo Conservatoire und der Musikhochschule in München.
Als dann nach der Pause der Welthit “O Fortuna” von Carl Orffs “Carmina burana” durch den Saal tobte, brach sich eine ganz andere Art von Magie Bann. Schon die schneidende Sekundreibung im dröhnenden Tutti der ersten Takte brachte das Kairoer Publikum an die Stuhlkanten. Dann trafen sich lateinische Mittelalter-Exotik, Shalaby-trainierte Schlagwerk-Power und die vibrierende Energie von Kairo zu einem fulminanten Brio. Dazu noch die vokale Potenz des Madrigalchors der Musikhochschule, bestens trainiert von Martin Steidler. Zeigte er in einem Anthem von Henry Purcell noch subtile A-capella-Kunst, so brillierte er in den “Carmina” von martialischem Forte über die Dialoge zwischen kleinem und großen Chor oder nur mit Percussion und Klavieren bis zum tänzerischen Swing in “Ave formosissima”.
Für die poetischen Einlagen sorgten die Solisten Nikola Hillebrand, Carl Rumstadt und Benedikt Eder. Die wunderbare Sopranistin Hillebrand besang die Liebe zwischen Blanzifor und Helena im “Dulcissime” bis zum strahlenden hohen D, und Rumstadt begeisterte mit einem warmen Bariton, der auch im Forte nichts von seinem Schmelz verlor.
Orffs Opus über die launischen Wendungen von Glück, Liebe, Leben und Tod war dann auch der Hit auf dem Höhepunkt der Reise: im Royal Opera House von Muscat im Oman. Der Szenewechsel von den alten Dynastien Ägyptens zu einem real herrschenden König war ebenso so dramatisch wie der Ortswechsel von der tosenden 22-Millionen-Metropole Kairo zum feinen Sultanat Oman, einer Art Schweiz des arabischen Raumes. Seit es 1970 von Sultan Qaboos bin Said zum reichen Märchenland arabischer Hochkultur verwandelt wurde, wo es keine Bettler gibt und keine Steuern für die Bürger, ist es als Hort politischer Stabilität und kultureller Toleranz ein Juwel in der unruhigen Region geworden.
Das Kronjuwel aber ist das Opernhaus. 2011 mit verschwenderischer Marmorpracht, den mit Gold eingelegten Teaktäfelungen unter gleisenden Kristallleuchtern erbaut, ist es nicht nur ein ästhetisches Fanal, sondern zeugt auch vom musikalischen Geist des Königs. Unterricht in arabischer und westlicher Musik gibt es inzwischen an allen Schulen. Im Muscat Royal Philharmonic Orchestra spielen 120 Musiker, darunter viele Frauen. Dazu kommen vier Militärkapellen, die inzwischen an die 2500 Musiker umfassen, darunter ein Drittel Frauen. Sie fungieren zwar als eine Art Hofkapelle aber beherrschen ebenso perfekt die bayerische Folklore – bis zum deftigen Schuhplattler. Das ist weder Witz noch Marotte, denn der Sultan hat auch einen Wohnsitz in Garmisch-Partenkirchen: letztes Jahr führte er es mit 70 Musikern in seinem bajuwarischen Alpen-Refugium vor.
In seinem mondänen Opernhaus aber verkehren die Weltstars. Alle waren sie schon da: von Riccardo Muti mit Anne-Sophie-Mutter über Christoph Eschenbach, Misha Maisky und Gideon Krämer bis Carreras und Placido Domingo, der das Haus mit Puccinis “Turandot” eröffnet hatte. Letztes Jahr war der BR-Chor da und Philharmoniker-Chef Gergiew schon zweimal. Er feierte die sensible Akustik, als er seinem Mariinsky-Orchester befahl: “Nur streicheln – nicht spielen!” Jetzt aber war Orffs “Carmina burana” dort eine Uraufführung, genauso wie das erste Orgelwerks eines omanischen Komponisten: “Pride of Oman” von Hamdan Al Shaey. Der Sultan hatte sich 2012 von der Bonner Firma Klais eine gewaltige Konzertorgel ins Opernhaus bauen lassen. Mit 70 Registern, vier Manualen und 4542 Pfeifen ist es die einzige auf der arabischen Halbinsel.
Es geht die Fama, dass er sie nachts allein spielt. Diesmal hat sie die junge Organistin Angela Metzger gespielt, solistisch mit einer raffinierten Revue von Registerwechseln in Al Shaeys Stück, mit virtuoser Brillanz in einer “Esquisse” aus op. 41 von Marcel Dupré und als tragende Obligatbegleitung in Shalabys “Carmina”-Version. Damit ging auch das Konzept der grauen Musik-Eminenz des Königs auf, dem Ägypter Issam El Mallah, der den Morgenländern die abendländische Orgel nahebringen will. Einst lehrte er als Musikethnologe in München, jetzt ist er musikalischer Berater ihrer Royal Majesty und der Oper: wieder ein feiner kultureller Crossover. Den Omanis gefiel es so sehr, dass “O Fortuna” nochmals als Zugabe durch die Royal-Opera-Pracht am arabischen Meer dröhnte.
Klaus P. Richter
Süddeutsche Zeitung, 16.03.2016