RONDO Magazin
Orgelwerke
Angela Metzger, WDR Sinfonieorchester, Titus Engel
Im nächsten Jahr, am 5. August 2026, wird Betsy Jolas zum Club der Hundertjährigen gehören. Und vielleicht gönnt sich die scheinbar weiterhin unermüdlich arbeitende Komponistin einen Blick zurück – auf ein reiches Leben voller Begegnungen und Auszeichnungen. Immerhin gehörten zu den Lehrern der in Paris geborenen Jolas die Granden Olivier Messiaen, Arthur Honegger und Darius Milhaud. Und viele ihrer Werke wurden inzwischen von so namhaften Interpreten wie Sir Simon Rattle und Antoine Tamestit gespielt. Einen Mini-Schwerpunkt in ihrem Schaffen bildet auch die Orgel, die sie in New York bei Carl Weinich studiert hatte. Vier Orgel-Kompositionen von ihr legt nun die Neue-Orgelmusik-Spezialistin Angela Metzger zum Teil in Weltersteinspielungen vor. Zwei Kompositionen für Orgel solo („Musique de jour“ von 1975 und „Leçons du petit jour“ von 2007) sind da genauso zu hören wie Arrangements der ursprünglich für Klavier bzw. Carillon geschriebenen „Trois Études campanaires“. Und gleich zu Beginn taucht man mit der für Orgel und Kammerorchester komponierten „Musique dʼhiver“ (1971) in eine zunächst geheimnisvolle Welt voller raffinierter Licht- und Schattenspiele – bevor Orgel und vor allem das hyperaktive Schlagwerk sich gegenseitig hochschaukeln und dabei auf dem schmalen Grat zwischen Komplexität und Sinnlichkeit balancieren. Besonders Angela Metzger meistert dabei an der Klais-Konzertorgel im Kölner Klaus-von-Bismarck-Saal die Höchstschwierigkeiten mit einer geradezu spektakulären Leichtigkeit. So hochexpressiv und tiefenverschachtelt geben sich aber zum Teil auch die Solo-Stücke, für die Metzger die Mühleisen-Orgel in der Düsseldorfer St.-Antonius-Kirche mit ihren Schlagwerkregistern bespielt. Und wenngleich Jolas sich nie zu einer Mode oder einem bestimmten Trend in der Gegenwartsmusik bekannt hat, so funkeln doch die bearbeiteten Carillon-Stücke fast wie jene Klangsterne, die Kollege Stockhausen einst mit seinem „Tierkreis-Zyklus“ eingefangen hat.
Guido Fischer
RONDO Magazin, 26.07.2025